Hannes Wader über politische Lieder: „Ich bin dazu gezwungen worden“

Der Liedermacher geht wieder auf Deutschland-Tournee. Ein Gespräch über das, was gestern noch galt und heute oder morgen vielleicht nicht mehr.

Hannes Wader: „Hüsch tot, Degenhardt tot, da blieb ja nur noch ich als Doyen übrig.“ Bild: dpa

Hannes Wader hört schlecht. Hinter den Ohren klemmen Hörgeräte und er würde sich lieber umsetzen, irgendwohin, wo er nicht das Gefühl hat, brüllen zu müssen, um sich verständlich zu machen. Nicht, dass der Linken liebster und zugleich umstrittenster Liedermacher nicht auch mit 71 Jahren klare Meinungen und was zu sagen hätte – es muss nur nicht mehr so laut sein.

sonntaz: Herr Wader, erzählen Sie uns bitte einen richtig schlechten Witz.

Hannes Wader: Ja, gern. Aber der ist gar nicht so schlecht.

Trotzdem.

Sie haben es nicht anders gewollt. Herr Kästner hat 100. Geburtstag. Es klopft an der Tür, draußen steht die Gemeindeschwester Martha und sagt: Herr Kästner, gleich kommen der Bürgermeister, die Blaskapelle und die Presse zum Gratulieren, aber Sie stinken. Ab ins Badezimmer, ich schrubbe Sie ab. Sie gehen ins Badezimmer, sie schrubbt ihn ab, und als sie in die entsprechenden Regionen vordringt, bekommt Herr Kästner einen Ständer. Was muss ich da sehen, Herr Kästner, eine Erektion? Sie in Ihrem Alter, schimpft Martha. Sagt der Alte: Es tut mir leid. Früher konnte ich immer noch einen 10-Liter-Eimer drüberhängen. Heute geben die Knie immer gleich nach.

Der ist nicht wirklich schlecht.

„Was soll ich mich engagieren in Russland, ändern kann ich sowieso nichts“, sagt Olympia-Teilnehmer Maximilian Arndt. Viele Sportler sehen das wie er und schweigen zu Putins Politik. Welche Gründe sie haben und wer den Mund aufmacht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Februar 2014. Außerdem: Die EU-Staaten überlegen, wie sie in der Zentralafrikanischen Republik intervenieren können. Eine schnelle Eingreiftruppe hätten sie: die EU Battle Group trainiert seit fast zehn Jahren, eingesetzt wurde sie noch nie. Ein Besuch bei Europas vergessener Armee. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Stimmt, der ist nicht schlecht genug. Der ist eigentlich ganz gut.

Lachen Sie denn gerne über schlechte Witze?

Ja, allerdings.

Ist dieser Hang zum Scherz auch mal in Ihren Liedern drin?

Ja, denke ich schon. Aber die Leute merken es meist nicht. Außerdem versuche ich natürlich, in Liedern nicht ganz so dumme Witze zu machen.

Und auf der Bühne?

Hab ich schon gemacht. Da schrecke ich nicht vor zurück.

Der Mann: Hans Eckard Wader wird am 23. Juni 1942 in Bielefeld geboren. Sein Vater ist Landarbeiter, seine Mutter Putzfrau, er selbst absolviert eine Lehre als Schaufensterdekorateur, studierte erst später Grafik in Bielefeld und Berlin. Seine proletarische Herkunft ist ihm wichtig, noch heute wehrt er sich gegen die Einschätzung, ein Intellektueller zu sein.

Der Musiker: Schon während seiner Lehrzeit versuchte sich Wader als Musiker. Mit 20 Jahren hört er Georges Brassens und weiß fortan, was er machen will – obwohl er damals ohne Französischkenntnisse Brassens Texte nicht verstehen kann. 1966 wird er mit einem legendären Auftritt beim Festival auf der Burg Waldeck bekannt, 1972 mit dem Album „7 Lieder“ zum Star. Insgesamt hat Wader mehr als 40 Alben veröffentlicht, von denen nun die 17 aus seiner Zeit beim Schallplattenlabel Pläne, die zuletzt nicht mehr lieferbar waren, wiederveröffentlicht werden.

Der Umstrittene: Zweimal machte sich Wader unbeliebt. 1971 überließ er einer angeblichen Reporterin seine Wohnung in Hamburg, während er auf Tournee war. Die entpuppte sich als RAF-Mitglied Gudrun Ensslin, Wader wurde verhaftet. Mehr als zehn Jahre lang wurde gegen ihn ermittelt, schlussendlich erfolglos, er wurde abgehört und überwacht, die meisten Radios spielten seine Lieder nicht mehr. Ein zweiter Medienboykott folgte 1977, als Wader in die Deutsche Kommunistische Partei eintrat – ein Schritt, der auch bei seinen linken Fans umstritten war, und den er 1991 wieder rückgängig machte.

Live: 8. 2. Herford, 9. 2. Celle, 10. 2. Schwerin, 11. 2. Lübeck, 12. 2. Elmshorn, 13. 2. Bremen, 14. 2. Lüneburg, 15. 2. Helmstedt, 16. 2. Berlin, 17. 2. Chemnitz, 24. 3. Lahnstein, 25. 3. Trier, 26. 3. Idar-Oberstein, 27. 3. Eschweiler, 28. 3. Mülheim, 29. 3. Düsseldorf, 30. 3. Mainz, 31. 3. Bühl, 1. 4. Pforzheim, 2. 4. Regensburg, 3. 4. Schwabach, 4. 4. Steinheim

Macht Ihnen das auch deshalb so einen Spaß, weil Sie damit gegen Ihr eigenes Image vorgehen?

Darüber habe ich noch nie so nachgedacht.

Aber das konterkariert schon Ihr Image vom eher spröden, ernsten Sänger.

Ja, aber umso größer sind die Lacher, wenn es mir gelingt, den Witz schön trocken zu erzählen. Das erhöht natürlich die Wirkung, wenn es nicht erwartet wird. Mir macht das schon Spaß, das Publikum zu irritieren. Da fällt mir gerade Peter O’Toole ein, der gerade gestorben ist. Der wurde, da war er bereits hoch in den Siebzigern, mal gefragt, wie er sich fit hält. Er hat gesagt: Indem ich ständig hinter den Särgen meiner Freunde hinterherlaufe. Das ist geistreich, aber auch ein Kalauer. Ich mag Kalauer, aber in Liedern vermeide ich sie lieber.

Warum eigentlich?

Kalauer nützen sich schnell ab. Aber so ein Lied will man ja öfter spielen.

Vielleicht. Könnte es aber andererseits nicht sein, dass ein politisches Lied eine größere Wirkung hätte, wenn es nicht so todernst wäre wie die meisten politischen Lieder sind?

Ja, da ist was dran. Politische Lieder bekommen schnell etwas Papiernes, wenn sie anklagend sind. Aber wie soll man das machen? Wenn es um eine unerträgliche Tatsache geht wie den Tod von hungernden Kindern? Wie soll man das denn lustig formulieren? Das ist nicht möglich. Oder vielleicht ist es auch möglich, aber ich jedenfalls bin dazu unfähig.

Ihre Lieder haben es auch ohne Humor geschafft, eine große Wirkung zu entfalten. Glaubt jedenfalls Ihr Kollege und Freund Reinhard Mey. Der sagte, als Sie den Echo für Ihr Lebenswerk bekamen, in seiner Laudatio, Sie hätten „das erreicht, was alle Liedermacher sich auf die Fahne geschrieben haben: die Welt ein Stück besser zu machen“. Wie sehen Sie das?

Da hat Reinhard übertrieben. Den Anspruch hatte ich auch gar nicht, jedenfalls nicht in meinen Anfängen. Als ich angefangen habe, wollte ich nur singen – nicht irgendeine Scheißwelt verbessern. Zu den politischen Songs bin ich in gewisser Weise gezwungen worden – von außen, vom, sagen wir es ruhig so, vom Zeitgeist. Die Frage, die die Journalisten damals in den Sechzigern als Erste stellten, war immer dieselbe: Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Liedern die Welt verändern können? Da war meine Antwort zwar immer Nein, aber der Anspruch stand im Raum. Diese Forderung ist natürlich nicht an mir abgeprallt.

Ihre politischen Lieder sind also hauptsächlich auf Druck des damaligen Zeitgeistes entstanden.

Ja. Ich hab mich zwar gewehrt, denn ich genüge ungern Ansprüchen und Forderungen – bis heute. Aber ich lebe immer in einer Atmosphäre von Forderungen, die sich natürlich auch verstärken, wenn man bekannter wird. Diese Forderung steht übrigens immer noch im Raum, sie piesackt mich immer noch. Deshalb entsteht dann – wenn auch seltener inzwischen – immer mal wieder ein sogenanntes politisches Lied.

Obwohl Sie eigentlich glauben, dass man nichts verändern kann mit solchen Liedern?

So weit tiefstapeln möchte ich dann auch wieder nicht. Man kann schon was verändern, sich selbst zum Beispiel. In dem Moment, wo ich gezwungen bin, einen Gedanken in Reime zu bringen, kann mich dieser Gedanke auch verändern.

Vor ein paar Jahren hat der rechtsradikale Liedermacher Frank Rennicke Ihren Song „Es ist an der Zeit“, eine Hymne der Friedensbewegung, nachgespielt.

Ja, das war ein Schlag. Ich bin im Stuttgarter Theaterhaus aufgetreten und saß danach noch mit Freunden zusammen. Da kommt ein Mann im Trenchcoat rein, legt mir eine Scheibe auf den Tisch und sagt: Ich wollte Ihnen mal zeigen, was ich so mache, Wiederseh’n. Weg war er. So habe ich davon erfahren, dass er mein Lied gecovert hat. Ich habe dann den Verlag kontaktiert, aber man kann dagegen rechtlich nichts machen.

Rennicke hat kein einziges Wort verändert, trotzdem bekam der Song eine völlig andere Bedeutung. Lässt einen so etwas nicht grundsätzlich zweifeln an dem, was man da tut?

Nein, nicht so sehr, wie man vielleicht denken könnte. Denn theoretisch hatte ich das schon im Hinterkopf, dass so etwas passieren kann. Das ist ja auch schon oft genug passiert: Das Horst-Wessel-Lied war ursprünglich ein Rotfront-Lied, dann wurden zwei Worte ausgewechselt und es war ein faschistisches Lied, bekam die gegenteilige Bedeutung. Mir passiert das ja selbst mit meinen eigenen alten Liedern, die durch einen veränderten Zeitgeist plötzlich wieder aktuell werden und eine andere Bedeutung annehmen vor einem veränderten gesellschaftlichen Hintergrund – und das, obwohl sie zum Teil schon vierzig Jahre alt sind.

Was halten Sie von Rennickes Version?

Ich habe sie nie angehört.

Warum?

Ich wollte nicht. Ich hab mich nicht getraut.

Hatten Sie Angst, das Lied dann selbst nicht mehr spielen zu können?

Ja, vielleicht.

Bekommt man da nicht Zweifel, ob das politische Lied seine Funktion überhaupt erfüllen kann – wenn es so leicht missbraucht werden kann?

Das ist ein Dilemma. Aber so ist das nun mal mit den Worten: Die Bedeutung hängt auch immer am Kontext. Diese Erkenntnis hat mich erschüttert, sie hat sicher auch dazu geführt, dass ich mittlerweile zögernder, vorsichtiger an politische Themen herangehe. Sie kann mich aber nicht dazu bringen, gar keine Lieder mehr zu singen. Denn obwohl ich in der Öffentlichkeit als politischer Liedermacher gesehen werde, habe ich mich selber nie so gesehen. Ich habe immer über andere Themen gesungen, ich habe das ganze Leben als Programm, ich habe Volkslieder und Schubert gesungen – deshalb konnte mich das zwar erschüttern, aber nicht in meinen Grundfesten.

Eine der bekanntesten Zeilen, die Sie je geschrieben und gesungen haben, ist diese: „Was gestern noch galt, stimmt schon heut’ oder morgen nicht mehr.“ Welche Ihrer Gewissheiten von einst gelten heute nicht mehr?

Ich war Kommunist, ich war fast fünfzehn Jahre in der DKP und ich habe daran geglaubt, dass der sogenannte real existierende Sozialismus der richtige Weg ist, wenn er seine inneren Widersprüche lösen kann. Das war offensichtlich falsch, denn der real existierende Sozialismus existiert nicht mehr. Vor allem stellte sich heraus, er hatte – abgesehen vielleicht von Anfangsphasen – auch gar nicht existiert. Aber das war mir früher schon klar. Ich bin in der DDR aufgetreten und war in der UdSSR mit einer Kulturdelegation – und das war schockierend. Ich war in Moskau bei einem großen internationalen Musikfestival – und das war schlimm. Aber darüber möchte ich gar nicht so reden.

Warum?

Da hat sich so eine Art irrationales Schuldbewusstsein eingestellt. Aus heutiger Sicht sage ich: Das hättest du wissen müssen. Du bist da sehenden Auges reingelaufen, du Arschloch. Aus demselben Grund ist es mir auch unangenehm, über die Baader-Meinhof-Sache zu sprechen. Das ist eine Räuberpistole, die aber zu meiner Biografie gehört. Die kriege ich in diesem Leben nicht mehr los, selbst wenn ich wollte.

Im Jahr 1971 wurden Sie kurz verhaftet, wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt und jahrelang überwacht, weil Sie während einer Tournee Ihre Wohnung einer vermeintlichen Reporterin überließen, die sich als RAF-Mitglied Gudrun Ensslin entpuppte.

Heute sage ich: Ich hätte das wissen müssen, dass das Gudrun Ensslin ist.

Sie haben mal gesagt: „Ich bereue eine ganze Menge, ich habe viel Scheiße gebaut in meinem Leben.“ Gehört das dazu?

Ja, natürlich. Aber vor allem sind das private Dinge, wo ich Fehler gemacht habe. Wenn man jung ist, hat man nicht viel zu bedauern. Doch wenn man älter wird, häufen sich die Fehlschläge und die Schweinereien, die man begangen hat.

Bedauern Sie es vielleicht auch, dass Sie sich vor 25 Jahren nicht über den Mauerfall freuen konnten aufgrund Ihrer damaligen DKP-Mitgliedschaft?

Ich weiß gar nicht, ob ich mich nicht doch klammheimlich gefreut habe. Meine Gefühle waren sehr widersprüchlich. Damals war mein Verhältnis zum real existierenden Sozialismus schon zerrüttet. Ich habe mich ja schon 86, 87 zurückgezogen aus der Partei, die von Flügelkämpfen erschüttert war.

Ausgetreten sind Sie dann 1991.

Ich habe halt doch an der Partei gehangen. Ich habe gedacht, mir als Kommunist tut das gut, wenn ich nur eine einzige Wahrheit habe. Ich bin im Denken und Fühlen ein Chaot, ich versuche Ordnung in meine Gefühle und Gedanken zu bringen – mit meinen Liedern und auch mit meinem DKP-Eintritt.

Sozialist sind Sie aber geblieben. Mittlerweile wünschen Sie sich allerdings „einen Sozialismus mit neuem Schwung“. Wie genau sähe der aus?

Ach, mich stört mittlerweile ja schon das „-mus“. Für das, was ich heute will, bräuchte man nicht einmal eine Revolution. Einen vernünftigen Mindestlohn durchzusetzen gegen Leute wie Herrn Hundt und das Großkapital, wie es die Sozis ja jetzt vorhaben, das wäre doch schon mal was. Mir ist es immer noch wichtig, auf der Seite der Schwächeren zu stehen – obwohl ich viel Geld verdiene. Obwohl ich – könnte man sagen – berühmt bin und nicht mehr zu der Arbeiterklasse gehöre, aus der ich komme. Als ich damals in die DKP gegangen bin, wollte ich da wieder dazugehören.

Das war 1977.

Mir ging es nicht gut damals. Ich wusste nicht, wohin ich gehöre. Bloß weil ich Lieder schreibe und singe, bin ich noch lange kein Intellektueller. Wollte ich aber gerne sein. Haben Sie alte Bilder von mir gesehen? Ich hatte Augen wie ein Adler, aber trug große Brillengläser – ich wollte aussehen wie ein Intellektueller. Ich wollte in der Milchbar an der Theke sitzen, Erdbeershake trinken und gefragt werden: Was studierst du denn? Dann wollte ich die wiederum verblüffen mit der Antwort, dass ich nicht studiere, sondern Schaufenster dekoriere.

Sie hatten eine Lehre als Schaufenstergestalter absolviert.

Ich war, wenn man so will, ein Poser. Ich habe nicht viel nachgedacht, ich habe Schnaps getrunken und geraucht.

Sonst keine Drogen?

Hab ich versucht, ja. Hat aber nicht funktioniert. Hannes, haben die gesagt, du musst mal einen durchziehen oder Meskalin nehmen, dann hast du die tollsten Ideen. Also habe ich das genommen und dann versucht zu schreiben. Aber das war so hilflos und lächerlich, was dabei rauskam, und ich habe mich so scheiße dabei gefühlt – ich habe das Zeug anschließend nie wieder angefasst. Da hab ich lieber weitergesoffen.

Sowohl nach der Verhaftung als auch nach dem DKP-Eintritt gab es Boykotte gegen Sie und Ihre Lieder. Welcher war schlimmer?

Der erste, denn den zweiten hatte ich mir ja selber organisiert. Den hatte ich vorausgesehen. Ich habe mit großer Genugtuung die Sendungen in Empfang genommen, die mir die ehemaligen Fans schickten mit meinen zerbrochen Platten, die ich mir in den Arsch stecken sollte.

Sie sind in die DKP eingetreten, damit Ihre Platten zerstört werden?

Das war die Folge. Der Grund war: Ich habe mich entwurzelt gefühlt, war von meiner Familie entfremdet. Ich war wie ein Blatt im Wind, zwar noch umjubelt, aber auch angegriffen. Ich wollte irgendwo dazugehören. Außerdem ging mir der Anspruch, dass ich mich ständig zu jeder politischen Situation äußern sollte, auf die Nerven. Und nicht zuletzt wollte ich weniger Geld verdienen.

Ach?

Aus einem diffusen Linksfühlen habe ich Geld verabscheut. Den Ruhm wollte ich, aber Geld war Bäh für mich. Zuerst habe ich auf der Straße gesungen und plötzlich fand ich mich in den großen Hallen wieder, ich trat in Berlin in der Philharmonie auf. Aber das war mir unheimlich. Ich wollte mich wieder erden, angebunden sein, etwas vertreten. Also bin ich in die DKP, habe morgens um sieben Streiklieder vor den Werktoren gesungen. Das hat mir eine Zeit lang sehr gut gefallen.

Haben Sie in dieser Zeit darüber nachgedacht, in die DDR zu emigrieren?

Zwangsläufig denkt man da drüber nach, wenn man ständig den Spruch hört: Geh doch nach drüben! Aber ich wollte nicht. Ich fand den Alltag der DDR, wie ich ihn erlebt habe, dann doch zu verbesserungswürdig. Ich habe der DDR zwar damals zugetraut, ihre inneren Widersprüche aufzulösen, aber so dringend musste ich da nicht dabei sein.

So weit ging die Liebe zum Sozialismus dann doch nicht.

Nein, so weit ging sie nicht. Jedenfalls nicht bei mir.

Dafür sind Sie jetzt zu einer gesamtdeutschen Ikone der Linken geworden.

Ja, mittlerweile. Es gibt aber auch Leute, die mich den Heino der Linken genannt haben.

Ist da was dran?

Ja, wer weiß?

Aber sicherlich waren Sie noch nie so beliebt wie heute.

Ja, aber das sind ja vor allem natürliche Alterungsprozesse. Diese Renaissance, die ich gerade erlebe, die überrascht mich nicht wirklich. Das konnte ich mir ja ausrechnen. Hüsch tot, Degenhardt tot, da blieb ja nur noch ich als Doyen übrig. Spätestens seit meinem 70. Geburtstag bin ich immens gefordert.

Wie gehen Sie damit um?

Ich kann diese Popularität jetzt eher genießen als früher. Ich kann sogar akzeptieren, dass ich beim Zahnarzt sofort drangenommen werde. Ich nehme die Privilegien wahr, die ich früher aus denselben Gründen abgelehnt habe wie das Geld – aus demokratischen Gründen. Heute sage ich: Scheiß auf die Demokratie, solange ich beim Arzt nicht so lang warten muss.

Eines Ihrer bekanntesten Lieder heißt „Ich hatte mir noch so viel vorgenommen“. Was haben Sie sich noch vorgenommen?

Ich nehme mir nichts mehr vor. Nur noch das, was anliegt. Obwohl: Ich baue gerade ein Haus, ich werde umziehen, ich schreibe ein Buch und Lieder für eine neue Platte, die Anfang 2015 erscheinen soll. Ich gehe auf Tour. Was soll ich mir noch mehr vornehmen?

Stattdessen haben Sie in letzter Zeit unüberhörbar in Ihren Liedern den Tod als Thema entdeckt.

Der Tod hat mich entdeckt. Er zwingt mich dazu, mich fast täglich mit ihm zu befassen, weil wieder jemand abgekratzt ist, der einem nahe steht. Ob das ein alter Freund wie Degenhardt ist oder jemand wie Peter O’Toole, den ich nicht persönlich kannte.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Bislang nicht. Ich hatte noch nie Angst vor dem Tod. Aber das kommt sicher noch.

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