Arno-Schmidt-Ausstellung: Der literarische Knipser

Als Fotograf hätte der Literat es vermutlich nicht zu Weltruhm gebracht – gezeigt wird eine Auswahl seiner Bilder in Oldenburg nun trotzdem.

Was fotografiert der da eigentlich? Arno Schmidt 1964 im Schwimmbad Höfer. Bild: Wilhelm Michels

OLDENBURG taz |Als Fotograf hätte Arno Schmidt es wohl eher nicht zu besonderer Berühmtheit gebracht. Die Aufnahmen, die der 1979 verstorbene Schriftsteller hinterließ, sind mit rund 3.000 Negativen und Dias zwar reich an Zahl – weniger jedoch an zumindest offensichtlicher Kunstfertigkeit. Die Motive wirken mitunter beliebig, die Bildausschnitte hier und da unausgegoren, das Format ist seltsam. Die Bilder sehen aus wie das Oeuvre eines Gelegenheitsknipsers. Aber Arno Schmidt war eben Arno Schmidt, der Literat von Weltrang, und allein das lässt die Bilder schon in einem ganz anderen Licht erscheinen – was das Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte nun in einer Sonderausstellung zeigt.

Da gibt es typische Familienfotos, Nahaufnahmen von Naturobjekten und Landschaftsbilder, die auf den ersten Blick nichts als pure Gegend zeigen, bar jeder Sehenswürdigkeit oder auch nur Vordergrunds. Hier und da findet sich ein pittoreskes Licht- und Schattenspiel, aber selbst das wirkt eher zufällig denn beabsichtigt. Auf mehreren Fotos ist zwar dieselbe Baumgruppe zu sehen – aber ein zugrunde liegender Leitgedanke ist nicht erkennbar. „Man fragt sich manchmal: Was fotografiert der da eigentlich?“, sagt Museumsdirektor Rainer Stamm. Wenn es so etwas wie einen durchgehenden Stil geben sollte, es wäre wohl die unübersehbare Ereignislosigkeit der Motive.

Erste Aufnahmen

Aus mangelnder Erfahrung wird diese auffällige Sujetlosigkeit kaum herrühren. Der Fotograf Schmidt hatte den Schriftsteller Schmidt zeitlebens begleitet. Einige Aufnahmen stammen bereits aus den 30er-Jahren. Vom Preisgeld für seinen 1949 erschienenen Romanerstling „Leviathan“ hatte sich der damals 36-Jährige einen neuen Fotoapparat gekauft – angesichts seiner finanziell prekären Lage eine bemerkenswerte Investition, die zugleich zeige, welche Bedeutung das Fotografieren für ihn persönlich gehabt haben müsse, sagt Stamm. Als Schmidt zum 50. Geburtstag eine japanische Yashica-Kamera geschenkt bekam, die er bis zu seinem Tod nutzen sollte, wurden seine Bilder farbig.

Warum er aber stets das untypische quadratische Format wählte, nach welchen Maßgaben er seine Motive auswählte und – vor allem – was er in ihnen sah, lässt sich schwer ermitteln. Schriftliche Aufzeichnungen, die Licht auf seine Intention werfen könnten, gibt es kaum.

Ab und zu legte Schmidt seinen Romanfiguren, die zumeist Alter Egos waren, etwas über das Fotografieren in den Mund: „So fing ich denn an zu knipsen: Sonnenflecke; eine stübchengroße Lichtung; verrosteten Stacheldraht (am Bahnhof, wo das Alteisen lag); larvenzerfressene Pilzruinen; ein Ast im Wald“, lässt er etwa den Protagonisten seiner Erzählung „Schwarze Spiegel“ sagen. So ähnlich lässt sich auch Schmidts Fotosammlung beschreiben.

Das weitgehende Fehlen von Erklärungen lässt Raum für Interpretationen. Die Grundregeln der Bildkomposition wird Schmidt zweifellos gekannt haben – er hat sie bloß einfach „auf charmante Art ignoriert“, sagt Stamm. Viele seiner Landschaftsaufnahmen weisen eine geradezu mathematische Strenge auf. Dennoch nahm sich Schmidt die Freiheit, den goldenen Schnitt mal zu beachten, mal aber eben auch nicht – dann ließ er seine Aufnahme etwa vom schnurgraden norddeutschen Horizont einfach in zwei Hälften trennen. Manche Bilder wirken trotz der Abwesenheit von Bewegung ungeheuer lebendig, andere angesichts abgeschnittener Objekte an allen Rändern enorm unruhig.

Eine ungewöhnliche, ganz eigene Bildsprache. Dennoch sollten Schmidts Aufnahmen „keineswegs zur Konzeptfotografie aufgewertet werden“, sagt Janos Frecot, Kurator der Ausstellung. Von Konzeptlosigkeit wird man indes auch nicht sprechen können, nicht bei jenem Schriftsteller, der Textbausteine wie Fotoalben zusammensetzte.

Wiederum andererseits müsse man die Fotografie aber auch nicht zwangsläufig an das literarische Werk ankoppeln, sagt Stamm, auch wenn einige der Bilder im Rahmen der Recherchereisen für Schmidts Bücher entstanden sind. Dafür entstanden viele andere auf seinen täglichen Spaziergängen auf dem platten Land um seinen Wohnort Bargfeld in der Lüneburger Heide, was wiederum Anklänge an Street Photography hat – nur eben eher als Stillleben. Und ohne Straßen.

Visuelle Notizablage

Von vielem etwas und doch ganz anders: Schmidts Fotografie haftet etwas Geheimnisvolles an, und das macht ihren Reiz aus. Vielleicht aber gibt es doch auch eine ganz weltliche Erklärung: Für Stamm könnten die Aufnahmen, vor allem die späteren, die Schmidt als Dia abgezogen hatte, unter Umständen den Zweck eines Handwerkszeugs für die literarische Arbeit erfüllt und eine Art visueller Notizablage gebildet haben, vergleichbar mit seinem berühmten Zettelkasten.

Wer weiß. Wie andere fotografierende Schriftsteller wie Bruce Chatwin oder Juan Rulfo werde Schmidt seine Fotosammlung jedenfalls überhaupt nicht als „Werk“ begriffen haben, so Stamm – und Schmidt selbst wäre auch „nie auf die Idee gekommen, sie in einer Ausstellung zu zeigen“. Nun, dafür gibt es ja auch andere.

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