Kieler Ausstellung über Christian Rohlfs: Erbarmungslos vollgestopft

Die Kieler Kunsthalle zeigt den norddeutschen Im- und Expressionisten Christian Rohlfs, der erst spät zu Ehren kam. Das hat Gründe: Rohlfs rezipiert etliche Stile, bleibt aber persönlich farblos. Einzige, rühmliche Ausnahme sind die kraftvollen Grotestken.

Explosiv: Rohlfs "Tulpen" von 1925. Bild: Museum

Manche Menschen sind Spiegel ihrer Umwelt: Sie saugen auf, was ihnen begegnet, reproduzieren und wandeln es im besten Fall in Eigenes, Kreatives um. Dabei ist es bei Künstlern ganz natürlich, dass sie am Anfang herumprobieren. Irgendwann aber erwartet die Mitwelt, dass der Künstler zum Ziel seiner Suche vordringt und seinen Personalstil findet. Vielleicht ist das zwar ein Mythos: dass man eine künstlerische Identität erschaffen muss – um des bloßen Wiedererkennungseffekts willen.

Aber ein klar definierter Stil bedeutet eben auch Mut. Und diesen Schritt zum Unikat ist der Künstler, den die Kieler Kunsthalle derzeit zeigt, nicht gegangen. Christian Rohlfs heißt er, „Überwältigend kühn“ die zugehörige Schau, und man ist stolz darauf, den norddeutschen Im- und Expressionisten anlässlich seines 75. Todestages erstmals komplett zu zeigen – ihn, der echte Anerkennung erst mit 60 bekam.

Letzteres hat Gründe, die bis heute gelten, und an ihnen krankt die Schau. Rohlfs hat nämlich im Lauf der Jahre alles ausprobiert: Neoimpressionismus, Pointillismus, Expressionismus. Genau genommen kommen seine frühen Gemälde sogar fast dürerhaft akribisch daher – nicht überraschend, denn eigentlich war er Historienmaler, bevor er mit Landschaften begann. Die waren erst impressionistisch, später pointillistisch – auch dann noch, als andere längst expressionistisch malten.

Eine Waldlichtung sieht da aus wie von Monet, einige Figuren wie von Chagall oder Munch, die Grotesken wie von Nolde – es scheint, als habe er den Stil eines jeden gespiegelt, auf dessen Werk er traf. Ein bisschen Kubismus, ein bisschen Art Brut – Rolhfs war kein Impulsgeber, sondern adaptierte.

Trotzdem haben die Nazis seine Werke als provokativ empfunden und 44 von ihnen im Jahr 1937 als „entartet“ beschlagnahmt. Das adele den Künstler geradezu, schreibt Kunsthallen-Kurator Peter Thurmann im Begleitheft, und es klingt wie der Versuch, diesem eher farblosen Künstler wenigstens politische Widerständigkeit zu attestieren.

Aber das hilft auch nicht viel, und so läuft man ein bisschen entmutigt durch die groß promotete Schau, in der Zitate hängen wie „Rohlfs ist verbohrt wie nur der Dilettant, ist ausschweifend bis zur Tapete und ist überwältigend kühn wie ganz allein das Genie“ – und man fragt sich, warum man das nicht spürt. Ob das hier nicht eine ans Magische grenzende Beschwörung eines Lokalmatadors ist, die den Ruhm der Kunsthalle im abgelegenen Kiel bisschen päppeln soll.

Aber, zum Glück, ganz trostlos zieht man nicht nach Haus. Denn in einem winzigen Kabinett findet man endlich den wahren Schatz: Kleine Grotesken, Karikaturen von Menschen im Alltag – etwa von Rohlfs und seiner Frau nebst selbstironischem Kommentar. Sie sind kraftvoll, fließend, ironisch. Sicher: Sie ähneln ein bisschen Chagalls Priester und Noldes Wurzelköpfen. Aber wenn man sich damit einmal abgefunden hat, kann man sie durchaus schätzen. Denn sie bezeugen einen klaren, unbestechlichen Blick auf die Welt.

In diesen Blättern liegt das eigentliche Talent des bei Segeberg geborenen Christian Rohlfs. Dies und nichts sonst hätte die Kieler Ausstellung ins Zentrum rücken sollen. Das aber unterblieb: Beseelt von einer pflichtschuldigen Vollständigkeits-Idee, hat man die Räume erbarmungslos mit Zeugnissen aller Schaffensphasen vollgestopft. Die kleinen Karikaturen dagegen wurden in ein Eck-Kabuff mit dem unbegreiflichen Titel „Humor und Tiere“ gequetscht.

Ein kleines, süffisantes Grotesken-Kabinett im Zentrum der Schau, quasi als Exempel für Rohlfs‘ Haltung zur Welt, zur Kunst, zu sich selbst: Das wäre eine angemessene Präsentation gewesen; da wäre man dem bodenständigen Rohlfs, der sich selbst nicht halb so ernst nahm, wie die Kunsthalle es jetzt tut, näher gekommen. Aber das haben die Kuratoren wohl nicht gewagt.

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