CCC-Kongress in Hamburg: Ein Atlas des „Filternets“

Der Hacker Jacob Appelbaum fordert “konstruktive Alternativen” zu Überwachung durch Staaten und Firmen. Er arbeitet daran, Zensur weltweit zu dokumentieren.

Laptop-Benutzer auf dem CCC-Kongress Bild: dpa

HAMBURG taz | „Wie wäre es, wenn wir - anstatt gegen Dinge zu kämpfen - versuchen, nachhaltige Alternativen aufzubauen?“, fragt Jacob Appelbaum in der Eröffnungsrede des CCC-Kongresses in Hamburg. Minuten später führt er sein eigenes Publikum vor: „Hebt die Hände, wenn ihr glaubt, dass Anonymität ein Grundrecht ist.“ Der Saal ist ein Meer aus erhobenen Händen. „Behaltet eure Hände oben, wenn ihr einen Tor-Server betreiben werdet“, nur ein Bruchteil bleibt oben. Appelbaum lächelt: „Alle, die jetzt die Hände unten haben: ihr könntet was unternehmen. Warum macht ihr das nicht?“

Das Tor Projekt ist auch Appelbaums Projekt und ist eine dieser Alternativen, die er von seinem Publikum einfordert. Tor ist eine Abkürzung für "The Onion Router", einem weltweiten Netzwerk von Servern, die Daten so lange untereinander austauschen und verschlüsseln, bis nicht mehr nachvollziehbar ist, woher die ursprüngliche Anfrage kam. Wer das Tor-Netzwerk nutzt, kann so zu einem gewissen Maße anonym surfen und auch Zensur umgehen.

Ein neueres Projekt, an dem Appelbaum arbeitet, soll eben diese Zensur dokumentieren und - noch wichtiger - zeigen, wie die Zensur durchgesetzt wird. „Das wird uns die Daten geben, um über konkrete Menschenrechtsverletzungen sprechen zu können“, sagt Appelbaum. Das Programm, das Appelbaum und andere Hacker aus dem Tor Projekt entwickelt haben, nennt sich OONI-Probe. Rechner, die das Programm ausführen, versuchen Internetadressen abzurufen oder Schlagworte zu versenden, die zensiert sein könnten und wiederholen die Tests so lange, bis die zensierten Adressen und Wörter identifiziert sind. Wenn mehrere Rechner den Test durchführen, können sie identifizieren, wie Daten umgeleitet oder gar blockiert werden.

Noch entwickeln Appelbaum und seine Mithacker das Programm und haben wichtige Hürden noch nicht genommen: Wie erstellt man die bestmögliche Liste von Websites und Schlagwörtern die blockiert werden könnten? Wie anonymisiert man die Datensätze, die öffentlich zugänglich gemacht werden sollen, um die Menschen zu schützen, die diese Tests durchführen? Doch schon die jetzige Version verhilft Appelbaum und seinem Team zu neuen Erkenntnissen. „Als ich vor Kurzem in Burma war, habe ich OONI-Probe verwendet“, erzählt Jacob Appelbaum auf dem CCC-Kongress. „Dadurch haben wir zufällig eine neue Methode entdeckt, um Zensur aufzuspüren.“

Die 500 Millionen Internetnutzer in China müssen sich künftig mit ihren echten Namen anmelden. Das neue Gesetz diene „dem besseren Schutz privater Informationen und der Sicherung öffentlicher Interessen“, so die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.

Es sei eine Reaktion auf Fälle, in denen Internetnutzer „im Netz beleidigt oder verleumdet“ sowie digitale Informationen illegal genutzt worden seien, sagte ein Vertreter des Nationalen Volkskongresses. Menschen, die etwa korrupte Beamte anzeigen wollten, würden auch künftig geschützt.

China fährt einen harten Zensur-Kurs im Internet. Die Nutzer werden mit einer aufwendigen „großen chinesischen Firewall“ vor unerwünschten Informationen abgeschottet. Dazu werden unter anderem Filter eingesetzt, die auf bestimmte Worte reagieren. Tausende Zensoren sind im Einsatz, westliche Onlinedienste wie Facebook und Twitter sind blockiert. (dpa)

OONI-Probe erfolgreich

Anfang 2012 wurde OONI-Probe außerdem mehrmals erfolgreich getestet. Appelbaum nutzte es beispielsweise, um den Jugendschutzfilter in dem vorinstallierten Browser von T-Mobile in den USA zu testen. Das Programm blockierte unter andern auch die Website des Cosmopolitan-Magazins, eine polnische Sportseite und - pikanterweise - die Website des Tor Projekts. Der Browser wurde mit dem Filter und ohne eine Anleitung um ihn auszuschalten geliefert, sodass unbedarfte Nutzer nur eine offenbar willkürlich zensierte Version des Internets abrufen konnten.

Aufsehenerregender war ein Test im Westjordanland, wo OONI-Probe zeigte, dass acht oppositionelle Websites von Netzanbietern blockiert wurden. Die Seiten waren bereits von Journalisten vor Ort identifiziert worden, doch der Test mit OONI-Probe zeigte, dass es die einzigen blockierten Seiten waren. Kurz darauf trat der palästinensische Kommunikationsminister zurück und warf der Staatsanwaltschaft vor die Zensur in Auftrag gegeben zu haben.

Doch es geht nicht nur um Zensur. „Wo einiges zensiert wird, wird alles überwacht", schreibt das Team in einer Einleitung über das Projekt. Statt vom Internet zu sprechen, nennen sie das weltweite Netzwerk in solchen Fällen lieber das „Filternet“ - eine eingeschränkte Version, in der mächtige Staaten und Firmen bestimmen, wer was abrufen und sehen darf.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.