Besuch in der peruanischen Hauptstadt: Geliebte Krake am nebeligen Pazifik

Die peruanische Metropole ist mondän, modern, altmodisch und mit ihrer internationalen Vielfalt ein kulinarischer Geheimtipp.

Liebespaare am abendlichen Strand. Bild: la Carolina/photocase

Sein weißer Schnurrbart ist gepflegt, die Haare sind gestutzt, allein der watschelige Gang irritiert ein wenig, wenn der Mann über die betonierten Wege des Parque Raimondi auf einen zu schwebt und in hellem Ton fragt: „Quieres las cartas?“

In seinen gebräunten Händen wechseln speckige Spielkarten von links nach rechts, eine zeigt er aufgedeckt als Anregung, sich aus den anderen die Zukunft lesen zu lassen. Kaum hat man „no gracias“ hervorgebracht, ist er schon abgedreht. Jeden Tag durchstreift der Mann mit den Karten den Park auf der Steilküste Limas, jeden Tag fragt er hunderte Male „Möchten Sie die Karten?“

Und man selbst winkt nach einer Woche schon von Weitem ab. Bis zu dem Tag, als er vor einem stehen bleibt, aus der beigefarbenen Weste eine Art Abrissblock für Gepäckscheine hervorholt, einen hauchdünnen Papierstreifen mit der laufenden Nummer 0948 abreißt und mit den Worten überreicht: „Mi reina, meine Königin, nimm meine Telefonnummer, falls es nötig sein sollte.“ Dann ist er schon davongeschwebt. Auf die Rückseite ist „998648873 Julio Cardenas T.“ gestempelt. Lima ist voller Überraschungen.

Zweitens klagt man über den Verkehr

Die größte ist, dass es Lima eigentlich gar nicht gibt. In jedem Stadtteil lebt ein anderes Lima, jedes Viertel hat seine eigene Realität, jeder der neun Millionen Bewohner Limas hat seine eigene Version von der Stadt. Nur in drei Dingen sind sich die für diese Geschichte befragten Limeños einig. „Busfahren ist sicherer als Taxi“, wie Carmen, Psychologin an einem der größten Krankenhäuser Limas, sagt. Es ist durchaus üblich, dass Kriminelle Taxis stehlen und damit Fahrgäste entführen, sie ausrauben oder gar tagelang gefangen halten, um Lösegeld zu erpressen. Carmen behandelt einige Patienten, die von derartigen Überfällen traumatisiert sind.

„Der Verkehr ist ein Horror in Lima“ sagt Juan, Manager einer Investmentgesellschaft. Damit bringt er die zweite Übereinstimmung der Limeños zum Ausdruck. Mit der Klage über die stinkende und nur nachts abreißende Autolawine kreuz- und quer durch die Stadt geht noch das berechtigte Lamento über Gestank und Hektik einher, Lärm stört dagegen nicht. Wie so viele aus der weißen bürgerlichen Mitte träumt Juan von einem Leben in den Bergen. Aber wegziehen?

Museen: In Lima können sich Besucher in den teilweise sehr guten archäologischen Museen mit der reichen Geschichte des präkolumbischen Perus vertraut machen. Besonders Empfehlenswert sind das Museo Larco mit den besten Keramiken der Mochica- und Cupisnique-Kulturen, zu dem auch die berühmten erotischen Keramiken gehören (Av. Bolívar 1515, Stadtteil Pueblo Libre) und das Goldmuseum (Av. Alonso de la Molina 1100 im Stadtteil Surco), selbst wenn der Großteil der Exponate angeblich Fälschungen sind.

Sehenswürdigkeiten: Nach Spaziergängen durch die koloniale Altstadt und Miraflores sollten Reisende den Park Raimondi auf der Steilküste am Pazifik besuchen und einen Abstecher in den Park El Olivar in San Isidro einplanen.

Restaurants: In dem edlen Stadtteil San Isidro sind Spitzenrestaurants wie das Malabar von Schiaffino (01 Camino Real, San Isidro, Lima, Tel. 4 40 52 00).

Eine günstigere Variante am Park ist das Tanta aus der Bistro-Kette von Gastón Acurio, das auch eine Filiale in der Altstadt hat (Pasaje Nicolás de Rivera el Viejo 142, Lima, Tel. 4 28 31 15). Eines der besten Fischrestaurants in Miraflores ist das La Mar, (Av. La Mar 77099. Wesentlich günstiger ist die Fischrestaurantkette Punta Azul, zum Beispiel in Miraflores (Calle San Martín 525/Alcanforces.) Als eine der besten Cevicherias gilt das Chez Wong von Meisterkoch Javier Wong (Enrique León García 114, La Victoria, Tel.: 4 70-62 17).

Weitere Informationen: peru.tourismus.de/fremdenverkehrsamt

„Noooo“, sagt auch Julio und lächelt mit zurückgelegtem Kopf über diese Frage, die wohl nur Nicht-Limeños stellen können. Julio arbeitet als Portier, Nachtwächter und Zimmersteward in einem Hotel, verdient etwa 800 Soles (240 Euro) im Monat und er ist sich, drittens, mit allen anderen in Lima einig, egal ob dort geboren oder zugezogen: Richtig leben kann man nur in Lima, nicht in den „provincias“, wie Limeños alle anderen Städte und Regionen Perus bezeichnen

Die kreativsten Köche

Die Limeños lieben ihre Stadt, diese laute, stinkige, gefährliche Krake am Pazifik. Der Moloch aus Hunderttausenden zweistöckigen unverputzten Häusern, umgeben von Millionen Hütten aus Brettern und Schilfmatten, die sich über Nacht vermehren, da täglich neue Migranten aus dem Hochland kommen. 120 Kilometer dehnt sich Lima von Nord nach Süd aus, bietet neun Millionen Menschen eine Unterkunft und eine Chance. Wer die Stadt gen Osten in Richtung der Anden verlässt, braucht 1,5 Stunden, um die armseligen Ansammlungen von Behausungen hinter sich zu lassen.

Im Sommer ist es tropisch heiß, im Winter drückt der selten weichende Nebel die Stimmung und die Temperatur auf 12 Grad, nasskalte Winde vom Pazifik streichen durch die am Meer gelegenen Stadtteile und lassen die Bewohner des wohlhabenden Miraflores ihre Lammfelljacken aus dem Schrank holen.

Lima ist aber auch die Hauptstadt der südamerikanischen Gastronomie und hat die besten Restaurants des Kontinents. Einer der kreativsten Köche Südamerikas, Gastón Arcurio, stammt aus Lima - „der ist berühmter als unser Präsident“, sagt Carmen.

Darbende, alte Kolonialpracht

Und Lima ist liebenswürdig altmodisch in kleinen Geschäften für Hüte oder Papierwaren, in denen Angestellte im hellblauen Kittel die gekauften Blöcke in durchscheinendes Papier wickeln. Lima ist mondän in unzähligen schicken Bars und Lounges, modern in Restaurants und Shopping Malls, exotisch und kolonial in der zum Unesco-Weltkulturerbe zählenden Altstadt.

Nur dieser historische Stadtteil heißt eigentlich Lima und wurde Mitte des 20. Jahrhunderts von den ehemals dort lebenden Familien der Unternehmer, Bankiers, Minenbesitzer und den herrschenden Familien für Domizile in San Isidro, Miraflores, Miami oder Madrid aufgegeben.

„Lima ist in einem desolaten Zustand“, sagt Julio und meint damit wirklich nur die Altstadt, in deren maroden Kolonialbauten in den vergangenen 50 Jahren die Zuwanderer gezogen sind. In den Hauseingängen betreiben sie Garküchen, in den Läden ehemals alteingesessener Geschäfte verkaufen sie Klamotten aus Indien, Kruzifixe aus Bambus oder Limonade in Plastikflaschen. Schaut man hinter verschlossene Haustüren, dringt stickiger Muff hervor, und im Dunkeln erkennt man, dass Menschen sich im Hausflur eine Bleibe eingerichtet haben.

Die Eleganz ist verblichen

Mitten in dieser alten Pracht der kolonialen Bauten steht der Präsidentenpalast, bewacht von dutzenden Straßenhunden, die zwischen den schwarzuniformierten Militärpolizisten an jeder Ecke und an jedem Tor liegen.

Und dann ist da das Lima der Fischer, Künstler und Bohemiens in Barranco, dem ehemaligen Strandbad der Limeñer Oberschicht. Gelbe, weinrote, blaue Holzvillen säumen dort die schmalen, im 19. Jahrhundert angelegten Straßen, ziehen sich durch ein zum Pazifik abfallendes Tal im Süden Limas. Lila blühende Jacarandasträucher wuchern die Veranden zu, die Ficus Benjamini erreichen die schindelgedeckten Dächer.

Die Eleganz der Gründerzeit ist verblichen und hat Platz für die Maler, Musiker und Schriftsteller gemacht, die Barranco seit den 1970er Jahren übernommen haben. „In Barranco ist Lima am schönsten“, findet Carmen. Und weil es so schön ist, haben sich in der Avenida San Martín mittlerweile sehr renommierte Galerien etabliert und die ersten schicken Restaurants haben in Barranco aufgemacht.

Entlang der Bajada, einem von Villen mit Holzveranda gesäumten Fußweg von der Steilküste zum Pazifik hinunter, haben Clubs eröffnet, in denen ab Donnerstagabend die Limeños das Wochenende mit Pisco Sour einläuten. Wer es sich leisten kann, wohnt in einem der an Luxusliner erinnernden Apartmenthäuser auf der Steilküste von Barranco und dem angrenzenden Miraflores. Maritime Stahl- und Holzkonstruktionen mit viel Glas dienen den wohlhabenden Limeños als Stadtdomizil.

„Diesen ein bis zwei Prozent der Bevölkerung gehört das ganze Land“, ereifert sich Raúl und fuchtelt mit der rechten Hand in der Luft herum, als predige er von einer Kanzel. „Sie wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, und verkaufen weiter Gold und Kupfer und Wasser und Land und stopfen sich die Bäuche voll - ich weiß es, denn ich gehöre auch zu dieser Schicht.“

Alle spekulieren mit Häusern

Raúl ist in der weißen Oberschicht von Miraflores aufgewachsen, lebt jedoch seit 45 Jahren in Israel und in den USA, wo er ein kleines Unternehmen aufgebaut hat. Jedes Mal, wenn er seine alten Schulfreunde in Lima besucht, ist er entsetzt. Der eine sitzt in der Zentralbank, der andere im Bergbauministerium, der nächste leitet eine Privatklinik und seine Schwester ist Chefin einer Investmentgesellschaft, die am peruanischen Wirtschaftsboom verdient. „Alle spekulieren mit Häusern und Wohnungen und träumen davon, Hochhäuser zu bauen“, sagt Raúl.

Die Grundstücke mit den Villen und ihren Gärten, die verfallenen Kolonialhäuser in der Altstadt würden Millionen Dollar bringen, wenn darauf Hochhäuser stehen würden. „Sie spekulieren, dass die Regierung irgendwann den Neubau zulässt, wenn sie alles verfallen lassen haben“, sagt Julio, der Portier. Denn noch ist Lima die einzige Hauptstadt Südamerikas ohne Skyline. Wie lange noch? Das wissen vielleicht Julio Cardenas Karten.

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