+++ Nachrichten im Nahostkrieg +++: Hunderttausende fliehen aus Rafah

Mehr als 300.000 Menschen haben die Stadt inzwischen verlassen, nachdem zur Evakuierung aufgerufen wurde. Die USA und Frankreich kritisieren Israel.

Menschen auf der Ladefläche eines Lastwagens

Palästinenser treffen in einem behelfsmäßigen Zeltlager westlich von Rafah ein Foto: Abdel Kareem Hana/dpa

Fluchtziel: humanitäre Zone in al-Mawasi

Rund 300.000 Menschen in Rafah sind nach Angaben der israelischen Armee der Aufforderung gefolgt, die Stadt im südlichen Gazastreifen in Richtung einer „humanitären Zone“ zu verlassen. Seit Montag hätten sich etwa 300.000 Menschen aus dem Gazastreifen „auf den Weg in die humanitäre Zone in al-Mawasi“ gemacht, erklärte die israelische Armee am Samstag. Die islamistische Hamas veröffentlichte unterdessen erneut ein Video von einer in den Gazastreifen verschleppten Geisel.

Zuvor hatte die Armee die zu evakuierenden Stadtteile in Ost-Rafah im Rahmen ihres Vorgehens gegen die radikalislamische Palästinenserorganisation erweitert. Die Armee forderte die Bewohner von Rafah auf, Gebiete im Osten und im Zentrum der Stadt „unverzüglich“ zu verlassen. In der vom israelischen Armeesprecher Avichai Adraee am Samstag auf Arabisch im Onlinedienst X veröffentlichten Aufforderung hieß es, diese seien „in den vergangenen Tagen und Wochen Schauplatz terroristischer Aktivitäten der Hamas gewesen“.

Bewohner in Rafah sagten der Nachrichtenagentur AFP, sie seien von der israelischen Armee über X sowie Text- und Sprachnachrichten auf ihren Mobiltelefonen aufgefordert worden, sich in die „humanitäre Zone“ in der rund zehn Kilometer entfernten Ortschaft al-Mawasi an der Küste zu begeben.

Auf Bildern in Onlinenetzwerken waren Flugblätter mit der jüngsten Aufforderung zu sehen, welche die Armee nach eigenen Angaben in den betroffenen Gebieten verteilt hatte. Demnach betreffen die Evakuierungen auch Teile des Flüchtlingslagers Schabura sowie die Ortsteile Dschenina und Chirbet al-Adas.

Armeesprecher Adraee zufolge gilt die Evakuierungsaufforderung auch für Menschen in Dschabalija und Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen. Zur Begründung hieß es in der separaten Erklärung, sie befänden sich „in einer gefährlichen Kampfzone“. „Die Hamas versucht, ihre Fähigkeiten in diesem Gebiet wieder aufzubauen“, erklärte Adraee. Daher werde die Armee „mit großer Kraft gegen die terroristischen Organisationen in diesem Gebiet vorgehen“.

Die israelische Armee hatte am Montag die Bewohner von Ost-Rafah zum Verlassen des Gebiets aufgefordert. Auch leitete sie nach eigenen Angaben einen Evakuierungseinsatz „von begrenztem Umfang“ ein. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hält ungeachtet des internationalen Drucks an den Plänen zu einer Bodenoffensive in Rafah fest. (afp)

Hamas veröffentlicht neues Geisel-Video

Am Samstag veröffentlichte der bewaffnete Arm der Hamas erneut ein Geisel-Video. Die im Onlinekanal Telegram veröffentlichte Elf-Sekunden-Aufnahme der Essedine al-Kassam-Brigaden zeigt einen abgemagerten Mann mit geschwollenem Auge vor einer weiß gekachelten Wand, der offenbar unter Zwang spricht. In einem Text darunter ist zu lesen: „Die Zeit läuft ab. Eure Regierung lügt.“ Um welche israelische Geisel es sich handelt, verlautete nicht.

Israelische Medien äußerten sich zunächst nicht zu dem neuen Clip. Die Hamas hat in der Vergangenheit ähnliche Geisel-Videos veröffentlicht, zuletzt im April. Israel verurteilt diese Veröffentlichungen als psychologische Kriegsführung.

Unterdessen gingen die Kämpfe im Gazastreifen weiter. AFP-Journalisten berichteten am Samstag von israelischen Angriffen vom Süden bis zum Norden des Gebiets. Nach Angaben eines Krankenhauses wurden mindestens 21 Menschen bei Angriffen im Zentrum des Gazastreifens getötet. In Rafah sahen Augenzeugen intensive Luftangriffe nahe des Grenzübergangs zu Ägypten. (afp)

USA: Verhandlungen über Waffenruhe in Sackgasse

Die Verhandlungen im Gaza-Krieg über eine Waffenruhe und Freilassung von Geiseln stecken nach Einschätzung der USA in einer Sackgasse. Dass die jüngste Verhandlungsrunde in Kairo ergebnislos verlief, sei „zutiefst bedauerlich“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Freitag (Ortszeit) in Washington. Die Treffen seien vorerst beendet, die Gespräche steckten in einer Sackgasse. Man bemühe sich aber, beide Seiten dazu zu bewegen, die Diskussionen fortzusetzen. „Wir glauben immer noch, dass eine Einigung möglich ist“, sagte Kirby. Das Wall Street Journal zitierte ägyptische Beamte, wonach die Unterhändler die Gespräche Anfang nächster Woche in Kairo oder in Katars Hauptstadt Doha wieder aufnehmen wollen.

Da Israel und die islamistische Hamas nicht direkt miteinander verhandeln, fungieren Ägypten, Katar und die USA als Vermittler. Ägypten will die beiden Konfliktparteien nun mit den USA zu mehr Kompromissbereitschaft bewegen. Ein Sprecher des ägyptischen Außenministeriums teilte am Freitag nach der jüngsten ergebnislosen Verhandlungsrunde in Kairo mit, US-Außenminister Antony Blinken und sein ägyptischer Amtskollege Samih Schukri hätten in einem gemeinsamen Telefonat betont, wie wichtig es sei, „die Parteien dazu zu drängen, Flexibilität zu zeigen“. Alle nötigen Bemühungen müssten unternommen werden, um eine Vereinbarung über eine Waffenruhe und eine Freilassung von Geiseln zu erzielen. (dpa)

USA: Israelischer Verstoß gegen Völkerrecht wahrscheinlich

Die USA halten es einem Bericht des Außenministeriums zufolge für wahrscheinlich, dass Israel bei der Verwendung von US-Waffen im Gazastreifen gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen hat. In dem Bericht vom Freitag heißt es, es sei vernünftig anzunehmen, dass Israel Waffen in einer Weise eingesetzt habe, die mit dem humanitären Völkerrecht unvereinbar sei. Es gebe jedoch keine endgültigen Schlussfolgerungen. Die Art des Konflikts im Gazastreifen mache es schwierig, einzelne Vorfälle zu bewerten oder abschließende Feststellungen zu treffen.

Präsident Joe Biden hatte im Februar unter dem Druck von Kritikern innerhalb seiner Demokratischen Partei angesichts der Situation der Zivilbevölkerung im Gazastreifen Länder, die US-Militärhilfe erhalten, aufgefordert, glaubwürdige Zusicherungen zu geben, dass sie sich an Menschenrechtsgesetze halten.

Israel habe den USA Zusicherungen gegeben, heißt es in der öffentlichen Version des Berichts, der dem Kongress vorgelegt wurde. Angesichts der Tatsache, dass Israel in erheblichem Maße auf in den USA hergestellte Verteidigungsgüter angewiesen sei, sei es jedoch vernünftig anzunehmen, dass die israelischen Streitkräfte seit dem Großangriff der islamistischen Hamas am 7. Oktober Verteidigungsgüter in Fällen eingesetzt hätten, die mit den Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts unvereinbar seien.

Zwar hätten die israelischen Streitkräfte das Wissen, die Erfahrung und die Mittel, um Schäden zu minimieren. Die Ergebnisse vor Ort, darunter die hohe Zahl ziviler Opfer, würden jedoch erhebliche Zweifel aufkommen lassen, ob die israelische Armee diese Mittel in allen Fällen effektiv einsetzt. (afp)

Frankreich fordert Ende des Militäreinsatzes in Rafah

Frankreich hat Israel aufgefordert, den Militäreinsatz in Rafah im Gazastreifen sofort zu beenden. „Wir rufen die israelischen Behörden auf, diese Militäroperation unverzüglich zu beenden und auf den Weg der Verhandlungen zurückzukehren“, erklärte das französische Außenministerium in der Nacht zum Samstag. Dies sei der einzig mögliche Weg, um zur sofortigen Freilassung von Geiseln und einer dauerhaften Waffenruhe zu kommen. Das Ministerium warnte vor einer „katastrophalen Situation“, die der Bevölkerung im Gazastreifen drohe.

Am Dienstag hatte die israelische Armee Panzer nach Rafah geschickt und auf der palästinensischen Seite die Kontrolle über den für Hilfslieferungen wichtigen Grenzübergang zu Ägypten übernommen. US-Präsident Joe Biden drohte Israel im Falle einer Großoffensive in Rafah damit, manche Waffenlieferungen zu stoppen. (afp)

VAE lehnen Beteiligung an Zivilverwaltung ab

Die Vereinigten Arabischen Emirate verurteilen die Äußerung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu über die „Aufforderung an den Staat, sich an der zivilen Verwaltung des Gazastreifens zu beteiligen.“ Netanjahu habe „keine legitime Autorität“, eine Beteiligung an der Zivilverwaltung des Gazastreifens zu fordern, schreibt der Außenminister der VAE auf der Social-Media-Plattform X. (rtr)

Guterres: Lage in Rafah auf Messers Schneide

UN-Generalsekretär António Guterres hat angesichts des Vorrückens der israelischen Armee im Osten von Rafah im Gazastreifen vor einem umfangreichen Einmarsch in der Grenzstadt gewarnt. „Die Situation in Rafah steht auf Messers Schneide“, sagte Guterres am Freitag auf einer Pressekonferenz in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. „Ein massiver Bodenangriff in Rafah würde zu einer humanitären Katastrophe epischen Ausmaßes führen und unsere Bemühungen zur Unterstützung der Menschen angesichts der drohenden Hungersnot zunichtemachen.“

Mehr als eine Million Palästinenser suchten in Rafah Schutz, die Hälfte davon Kinder, gab Guterres zu bedenken. Humanitäre Helfer in der Grenzstadt berichteten von verheerenden Zuständen. Krankenhäuser müssten innerhalb von 24 Stunden ihre Dienste einstellen, wenn nicht dringend benötigtet neuer Treibstoff geliefert werde. (dpa)

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