Belastete Atmosphäre beim Tesla-Ja: Das geht etwas den Bach runter

Grünheides Gemeindevertretern in einem auf repräsentativer Demokratie beruhenden System vorzuwerfen, dass sie selbst entscheiden, ist undemokratisch.

Das Foto zeigt den Schriftug des US-Autobauers Tesla an der Fassade seiner Fabrik in Grünheide östlich von Berlin

Feindbild Tesla Foto: Sören Stache/dpa

Das sei ein herber Schlag für die Demokratie, war schnell nach der Abstimmung zu hören, die am Donnerstagabend grünes Licht für eine Erweiterung der Tesla-Fabrik in Grünheide gab. „Die Mehrheit der Menschen in Grünheide hat gegen die Erweiterung gestimmt“, so die Behauptung von Kritikern – und das habe die Gemeindevertretung nun mit ihrem positiven Votum ignoriert. 11 zu 6 bei 2 Enthaltungen war die Abstimmung in der Müggelspreehalle ausgegangen.

Aber ist das so? Gab es bei der rechtlich unverbindlichen Bürgerbefragung – nicht Bürgerentscheidung – von Mitte Januar bis Mitte Februar tatsächlich eine Mehrheit gegen eine grundsätzliche Erweiterung der im Frühjahr 2022 eröffneten Fabrik? Da sollte ein Blick auf den damaligen Stimmzettel helfen. Die Frage darauf lautete: „Sollen weitere 100 Hektar Wald (im Landschaftsschutzgebiet) in der Gemarkung Grünheide (Bebauungsplan Nr.60) in eine Industriefläche umgewandelt werden, die für Logistik, Lagerhaltung und soziale Gebäude genutzt werden?“

Die Frage lautete also eben nicht, ob man für oder gegen ein Erweiterung an sich sei – es ging konkret um eben jene 100-Hektar-Baumfäll-Pläne. Aktuell ist das Fabrikgelände rund 300 Hektar groß – ein Hektar entspricht mit 10.000 Quadratmetern ungefähr der Fläche von eineinhalb Fußballplätzen.

Diese 100-Hektar-Baumfällpläne wollte eine Zwei-Drittel-Mehrheit tatsächlich nicht, und das erzielte eine Wirkung. Der parteilose Bürgermeister Arne Christiani schlug zügig einen Kompromiss vor, nach dem nur noch fast 50 Hektar Wald wegfallen, aber rund 70 Hektar bleiben. Anders als im Ursprungentwurf soll es nicht um wertvolle Mischwaldfläche gehen, sondern um Kiefer-Monokulturen.

Erschreckende Drohung

Also um die Hälfte weniger Kahlschlag, wodurch der wertvollste Bestand weitgehend geschützt bleibt. Zugleich kann so Verkehrsinfrastruktur entstehen – Autobahnanschluss, Eisenbahnüberquerung, Bahnhofsvorplatz und Landstraße –, die nicht bloß Tesla zugute kommt, sondern von der Gemeinde und Region profitieren. Vor diesem Hintergrund von einem „herben Schlag gegen die Demokratie“ zu sprechen, ist selbst ein Hieb gegen die Demokratie – und zwar einer unter die Gürtellinie.

Nicht die Abstimmung der 19-köpfigen Grünheider Gemeindevertretung muss Angst um die Demokratie machen, sondern die Atmosphäre vor und bei der Sitzung am Donnerstag. Wenn eine derartige Entscheidungsfindung nur unter Polizeischutz möglich ist, wenn anwesende Tesla-Manager es für nötig hielten, einen Personenschützer mitzubringen, wenn es Drohungen gegen die Entscheider gibt, dann geht tatsächlich etwas den Bach runter.

Der Kollege des Tagespiegel zitierte einen erschreckenden Satz aus der Einwohnerfragestunde, die in der mit rund 200 Menschen gefüllten Müggelspreehalle der Abstimmung voran ging. „Wenn der Bebauungsplan beschlossen wird“, äußerte sich demnach ein Mann aus dem Publikum, „kann ich Ihnen versichern, dass Sie als Gemeindevertreter kein schönes Leben mehr haben werden.“

Es mag berechtigte Kritik an der Tesla-Fabrik und an der Art und Weise der Erweiterung geben. Wie etwa die Wasserversorgung der Region dauerhaft mit der Produktion in Einklang zu bringen ist, wirkt nicht abschließend geklärt. Aber es ist purer Populismus, den ehrenamtlichen Politikern zu unterstellen, sie hätten sich unter Druck setzen lassen oder – was auch unausgesprochen in solchen Fällen immer mitschwingt – kaufen lassen.

Die in der Müggelspreehalle zu hörende Forderung, auch zum neuen, deutlich veränderten Baumfällplan alle Einwohner zu befragen, ignoriert das System der repräsentativen Demokratie, mit dem die in diesen Tagen 75 Jahre werdende Bundesrepublik gute Erfahrungen gemacht hat. Grünheides Wählerschaft hat bei der Kommunalwahl 2019 Entscheidungsmacht an eben jene 19 Menschen übertragen, die nun abzustimmen hatten. Sie hatten auf örtliche Proteste gegen die Erweiterung mit der Bürgerbefragung reagiert, der abgespeckte Plan war das Ergebnis. Sie dafür zu Antidemokraten zu erklären, ist selbst nur eines: antidemokratisch.

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